Westwerk
Admiralitätstrasse 74
20459 Hamburg
«target: autonopop»
Beschreibung einige Projekte
Eröffnungskonferenz 15.01.04
Rahel Puffert: Die Wahrheit der Wertfreiheit
Abstrakt: 1996 initiierte Maurizio Cattelan ein Event namens "Karibische Biennale", eine Einladung an 10 international beachtete KünstlerInnen, sich 7 Tage in einem Luxushotel auf einer Palmeninsel mit weissem Sandstrand aufzuhalten. Diese als Persiflage auf Grossausstellungen und Biennalen konzipierte Aktion stiess bei der Kritik nicht nur auf Gegenliebe, so befand die Kritikerin Liu, das Projekt sei zynisch und deprimierend. Diese Kritik nahm eine zweite Kritikerin - Alison S: Gingeras zum Anlass, um Cattelans Arbeit zu verteidigen. Mit dem Text "Die Wahrheit der Wertfreiheit" schliesse ich mich an diese Kette an und untersuche eine Argumentationsweise, mit dem kritische Einwände neutralisiert und das Vorgehen des Künstlers heroisiert wird.
Franco Kroschewski: Medienmacht und Underground
Abstrakt: Das Thema wird aus Sicht eines Kleinstlabelbetreibers und Fanzine-Herausgebers betrachtet. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Veröffentlichungen der Plattenfirmen und den rezensierenden Medien stehen dabei im Vordergrund. Ausgangspunkt des Beitrags sind die Erfahrungen des Autors im Bereich der Fanzine- und Labelarbeit mit niedrigen Auflagen. Es wird aber auch, teilweise durchaus polemisch, auf die Mechanismen des grossen, kommerziellen Musikgeschäfts eingegangen. Dabei wird u.a. deutlich, dass die Inhalte stark von Modetrends und den Zugeständnissen aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten (z.B. Bevorzugung von Anzeigenkunden) bestimmt werden, während interessante, schwierige Themen häufig ignoriert werden.
Tobias Still: Frisur und Bedeutung. -`Alles ist Pop´
Abstrakt: In diesem bislang unfertigen Text werden verschiedene Analyseansätze in Bezug auf den Pop-Diskurs ausprobiert.Die These die sich herauskristallisiert ist diejenige, dass die intellektuelle Rede über Pop den selben Regeln folgt wie die altbekannte "Kulturkritik", und in gewisser Weise eine Nachfolge anstrebt. Der Bruch mit dem "Anspruch", den "Kultur" erhebt, wird von den Poptheoretikern als entscheidender Zug ihres Manövers dargestellt. Es soll jedoch gezeigt werden dass dies ein Scheincharakteristikum ist. Bei "Pop" handelt es sich ebenso wie bei "Kultur" (normativ) um einen Begriff dessen Bedeutung und Funktion nicht voneinander zu isolieren sind. Wenn Poptheoretiker das postmoderne Bewusstsein anrufen, darüber dass "Pop" wesentlich kriterienlos und selbst-definierend ist, spricht das weniger für die demokratische Verfassung des "Pop", als dafür, dass mitten im Popdiskurs die alte irrationalistische Kulturkritik weitergeführt wird. Deren Thema war immer schon die "aufgehobene Utopie" (D.Diederichsen) zugunsten des Betriebs. Hinterdem Bruch mit dem "Anspruch", der im heutigen Kulturbegriff ohnehin kaum eine Rolle mehr spielt, steht vornehmlich der Erneuerungsversuch eines belasteten Vokabulars.
Ausstellung Teil 1
Michel Chevalier (mit Input von anderen target: autonopop Beteiligte): autonopop immobiles
Colorful Conceptualism / Kurven und Kreise / Infantilizierung / Pop wertet Auf / Happy, Fun / '60s Forever / Bunte Vielfalt / Neutralizierung und Kooptation / Fashion / Cold/Colorful
Die zwei autonopop immobiles immobiles gehören zu einem Environment und wurden ursprünglich zusammen mit thematisch verwandten Arbeiten (zu Besuch bei Nagel, the Diedrich Diederichsen Listening-Room) gezeigt.
Das größere von beiden besteht aus 100 laminierten Reproduktionen von Einladungskarten, Photos, die ich in Ausstellungen und Galerien aufnahm, Katalog- und Kunstmagazin-abbildungen, Werbungen und Texten. Das Prinzip, nach dem sie geordnet sind, könnte man als Taxonomie der kommerziellen Kunst und ihres Diskurses seit 1990 bezeichnen. Ich erfand Schlagworte und visuelle Kategorien, mit denen ich Arbeiten, die üblicherweise nicht unbedingt mit einander in Beziehung gebracht werden, zusammenfasste.
Dabei handelte es sich um keine reine Übung in Ikonographie. Ausgangspunkt waren vielmehr die oft reduktionistischen Einwände, die konzeptueller und dematerialisierter Kunst entgegengehalten werden (spröde, unsinnlich, etc.). Anstatt die Konsumkritik (z.B. die Internationnale Situationniste) zu wiederholen, die die 60er und 70er Jahre Kunst geprägt hatte und die heute noch immer gültig ist, entschied ich auf die Nachfrage nach einer (meiner Meinung nach) simplen Idee von Visualität zu reagieren – nicht als Inhalt aber methodisch. Das visuelle 'surplus' der marktfreundlichen Arbeiten erzeugt in komprimierter Form nahtlose Affinitäten zu Werbe- und Massenproduktionsstilen sowie Managementstrategien der 90er und 00er.
Ein kleineres immobile mit 30 Laminationen untersucht die Thematisierung von Punk als Testfall für kommerzielle Künstler und Werbestrategen, die die gleichen (neutralisierenden) Ziele in der Zeit zwischen 2002 und 2004 verfolgen. Durch diese strukturelle Homologie (Bourdieu) werden allgemeine Wurzeln im Machtfeld sichtbar.
Michel Chevalier (mit Input von Tobias Stil, Laeton Ward, Stefan Funk, Chad Popple, Asmus Tietchens):
"Quadrophonischer Kunstkopf": the Diedrich Diederichsen Listening-Room
Diese Projekt hat eine Beschäftigung mit 20 Jahren Musikkritik des ehemaligen SPEX-Herausgebers und derzeitigen Kunstkritikers (Texte zur Kunst, Artforum) Diedrich Diederichsen zum Ausgangspunkt.
Ausgewählt wurden 25 Veröffentlichungen von Musikgruppen, die zwischen 1979 und 1998 Diedrich Diederichsen Lob gefunden haben. Über einen Kopfhörer werden sie orignalgetreu in Stereo wiedergegeben und (in Echtzeit) Aufnahmen anderer Gruppen auf einem zweiten Kopfhörer zur Seite gestellt. Diese zweite Reihe von Veröffentlichungen wurden von Diederichsen entweder ignoriert oder kritisiert. Zur Diskussion steht, ob sie die radikale und unabhängige Rhetorik, die Diederichsen benutzt, um seine vergleichsweise mainstreamhafte Auswahl geltend zu machen, besser verkörpern. Eine Art "liner notes" mit Originalkommentaren von Diederichsen und meinen Antworten zu diesen ist verfügbar.
Das Projekt ermöglicht es dem Hörer, einen Vergleich zwischen zwei Geschmacks-mustern wie sie sich im Detail und in der Zeit artikulieren, anzustellen und diesen Prozeß zu erweitern, indem er/sie seine/ihre eigenen Urteile (über Musik, das Projekt oder die in Frage stehende Aera) bildet und u.U. weitere Geschmacksmuster (innerhalb der Ausstellung, unter den BesucherInnen) ausfindig macht.
Außerdem zielt die Installation darauf, nicht-visuelles – aber sehr physisches und emotionales – Material zu benutzen (Musik, befreit von ihrer Verpackung), um die Produktion und Zirkulation eines "Pop"-Diskurses zu untersuchen, der in den letzten Jahren auch im Kunstfeld auf institutioneller Ebene sehr einflußreich war. Auch: den Besuchern, die Gelegenheit zu geben, seltene Aufnahmen von Gruppen zu hören, von denen sie vielleicht "nur gehört" haben; der von Medien auferlegten Amnesie zu begegnen, die einen Konsens-Eklektizismus favourisiert und Konflikte neutralisiert.
Ausstellung Teil 2
Jean-Baptiste Farkas (mit Input von AusstellungsbesucherInnen): Target Studio
Theory-Grabber / Living-Room-Scaled Minimalism / Utopia Light / Survivor /
Good-Conscience Generators / Bourgeois is Back! / Walm•Art / Buy Me/Fuck You! / High Level ...
"Im zweiten Teil der Ausstellungübergibt Chevalier das Staffelholz an den Künstler Jean-Baptiste Farkas,der es wiederum an die BesucherInnen weiterreicht: Mit der analytischenVorlage von Chevalier und seine autonopop-Kategorienals Ausgangspunkt und Basiswird die Ausstellung zumTarget-Studio. Die Aufforderung an die BesucherIn lautet:Suche deine eigenen Zielscheiben; korrigiere und ergänze das, was du vorfindest.Und tatsächlich:Einige Tage lang glichen die Räume in Westwerkeinem großen analytischen Labor, in dem Kategorien entworfen, diskutiert und auf von Farkasentworfenen Vordrucken festgehalten werden.Es gilt: je gnadenloser, desto treffender."
(Anika Heusermann)
Eine Abschlusspräsentation und Diskussion fand am 1.2.04 statt. Alle ausgefullten Formulare sind in der«target: autonopop» Zeitschriftabgebildet.
Von Jérôme Guigue, einem von Jean-Baptiste Farkas eingeladenen Gast, stammen zwei weitere Beiträge. Sein Space (od. Bar) Pégant bedeutet eine Änderung im Raumverhalten (mit ‘Pégant‘ wird in Marseille umgangssprachlich das klebrige Gefühl einer Haftung beschrieben). Für»target: autonopop 50%«wurden die Arbeiten von Teil Eins exakt rekonstruiert, zunächst aber auf verschiedene Weise reduziert. Die 50%ige "Reduktion" betraf eins ihrer Parameter (Höhe, Breite, Dauer, Menge).